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Eine Frau lebte einst in einem Tempel. An manchen Tagen sah man sie zart wie eine Elfe durch die Gänge wandeln, fast unsichtbar für das Auge und an anderen Tagen stark wie ein Bulle den Männern bei der schweren Arbeit helfen.

Die Menschen wussten nicht, was sie von ihr halten sollten. Sie hielten sich bedeckt und distanziert und waren stets misstrauisch, wenn sie sich in ihrer Nähe aufhielt.

Häufig war sie fordernd und sagte ihnen auf den Kopf zu: Wenn du etwa von mir möchtest, so musst du mir zuerst etwas bringen. Die Menschen verstanden ihr forderndes Verhalten nicht und zogen sich zurück. Sie ist keine Priesterin, murmelten sie sich zu. Sie hat es nicht verdient, gehuldigt zu werden. An sie werden wir uns nicht wenden, wenn wir Hilfe brauchen.

Wann immer die Frau ihre Forderungen machte, war ihre Schwester stets in der Nähe. Ihre Schwester war ganz anders. Zutraulich, liebenswürdig und selbstsicher. Sie wusste immer, wie sie sich den Menschen nähern konnte und verstand ihre Sorgen und Nöte.

Schützend stellte sie sich dann vor die Menschen, um sie vor den Forderungen ihrer Schwester zu bewahren. Über ihre Schulter rief sie ihrer Schwester zu: „Sie sind noch nicht so weit!“

Und so ging das Tag ein und Tag aus.

Ein Kind, das gerne den Tempel besuchte und die Menschen beobachtete, fand das alles sehr lustig. Es wollte unbedingt wissen, wie die beiden Schwestern hießen, denn es hatte sie noch nie beim Namen gehört.

Vorsichtig, als die Frau wieder einmal durch die Gärten wandelte, zart und fast unsichtbar wie eine Elfe, sprach es sie unverhofft an: „Liebe Frau, du bist so wunderschön. Ich sehe dich so gerne an. Wie darf ich dich nennen?“

Da lächelte die Frau und sagt: „Ich verrate dir meinen Namen, wenn du mir etwas dafür gibst.“

Das Kind lachte, holte eine Murmel aus seinen Hosentaschen und legte sie in die Hand der zarten Frau. „Ist das genug?“, lächelte es.

„Ja,“ sagte die Frau verschmitzt, „du bist genug.“

„Und wie ist nun dein Name?“, fragte es voller Neugier.

„Mein Name ist Vertrauen. Der meiner Schwester heißt Angst. Beide haben wir denselben Vater und dieselbe Mutter und wohnen im gleichen Tempel.“

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