Früher, etwa in den 90er Jahren als ich mit Yoga anfing, wurde ich schräg angeschaut: „Was, du machst Yoga?“
Von den Blicken und Gesichtern die mir zu verstehen gaben: die spinnt doch / die hat sie nicht alle über Diskussionen wie „Yoga ist doch kein Sport! Damit kann man sich nicht fithalten.“ habe ich alles erlebt. Gottseidank konnte das meiner kleinen Yogainsel in meinem Herzen nichts anhaben.
Heute heißt es eher: „Was?! Du machst kein Yoga? Du musst unbedingt zum Yoga kommen.“ und ich erhalte anerkennende Blicke, wenn ich sage, ich gebe Yogakurse.
Was ist dazwischen passiert? Und was haben wir aus Yoga gemacht?
Ich betrachte alles im Leben gerne als ein Pendel. Dieses Pendel ist permanent in Bewegung und schlägt von einer zur anderen Seite aus. Es ist das ewige Yin/Yang Prinzip in der Evolution des Menschen. Mal schlägt es stärker aus, mal kürzer, aber es würde niemals zum Stillstand kommen. Wir leben nun mal in einer Welt der Polarität und als Seelen die wir hier wandern ist es unsere Aufgabe, darin zu Recht zu kommen und unsere Erfahrungen zu machen. Das Eckige nicht ohne das Runde und das Minus nicht ohne das Plus.
Schweren Herzens muss ich zugeben, dass das Yoga-Pendel gerade wild von links nach rechts schwingt. War ich früher in der Position, mich rechtfertigen zu müssen, ist Yoga nun in aller Munde. Und wird schwer missbraucht.
So sehr der Begriff Yoga auch in den hintersten Ecken böhmischer Dörfer angekommen ist, so sehr wird nun unter diesem Begriff Schindluder betrieben.
Wo viel Licht, da auch viel Schatten, könnte man meinen?
Neulich hörte ich eine Bekannte sagen: „Für das, dass ihr Yogalehrer eigentlich so entspannt sein solltet, geht da ganz schön die Post ab..!“
Ja, da geht die Post ab. Und zwar in eine Richtung, die ich nicht gutheiße und die ein geistiges Einlenken benötigt. Ich rufe zur Besinnung! Zurück zu den eigentlichen Wurzeln des Yoga.
Yoga ist entartet zu einer neuen, moderneren Form der Religiosität. Der hippe Ashram, der tolle Guru, die Biomatte, die teuren Klamotten, das fancy Instagram Foto – und für die Kür ein Yoga Wettbwerb.
Oh nein, wirklich? Ein YOGAWETTBEWERB!
Was hat denn ein Wettbewerb im Yoga verloren? Richtig. Nichts.
Das sind möglicherweise Annäherungsversuche an Yoga-Asanas, gut gemeinte gymnastische Verrenkungen, die dem modernen Menschen den Anschein geben möchten, man habe sein Leben im Griff weil man Gymnastik kann.
Oh, Mensch, wo willst du hin?
Menschen sind so dringend auf der Suche nach Halt, nach Führung, nach Ausrichtung und Erfüllung – und machen dabei immer wieder den gleichen Fehler. Sie suchen im Außen. Das ist für sich genommen gar kein schlimmer Umstand. Aufgrund unserer materiell geprägten Welt werden wir immer über Erfahrungen im Außen unser Innenleben abgleichen wollen. Durch dich erkenne ich mich, durch mich erkennst du dich. So sind wir.
Schwieriger wird es, wenn die Suche nach Führung in Verzweiflung und Haltlosigkeit überschlägt. Dann fangen wir an blind zu werden und richten unsere Blicke auf solche, die den glückversprechenden heiligen Gral vermeintlich gefunden haben. Denn in Bildern und Videos ist die Welt immer heil.
Frauen bekommen Komplexe, wenn sie die Models auf dem Yoga-Journal sehen und sich nicht die Kleider leisten können, die die Magazine als Trend vorschreiben. Oder nicht reinpassen.
Es hat sich nicht viel geändert vom Vanity Fair Magazin zum Yoga Journal. Es ist genauso viel Werbung drin mit genau dem gleichen propagierten Schönheitsideal.
Instagram ist voll von model-ähnlichen Wesen in lang geübten Yogaposen, leicht und beschwingt in der Morgenröte, wahlweise am Pool oder dann zum Sonnenuntergang am Strand. Die Botschaft? Das Leben ist wunderbar. Die versteckte Botschaft? Das Leben ist wunderbar und du kannst dir das nicht leisten. Die noch tiefere Botschaft? Mit dir stimmt etwas nicht. Du bist nicht in Ordnung so wie du bist.
Mittlerweile steckt eine milliardenschwere Industrie hinter dem Geschäft mit dem Ypsilon Wort. Das ist nicht Yoga sondern gutes Marketing für ahnungslose Leute.
Aber nicht nur eine Industrie macht sich den Trend zunutze sondern gleich auch Menschen mit übersteuertem Ego und dem Wunsch nach Macht und Anerkennung.
Wie viele „Gurus“ da bereits gefallen sind auf dem Weg nach mehr Ruhm? Gelder werden veruntreut, Mitarbeiter misshandelt, sexuell ausgenutzt, Menschen verletzt, unterwürfig gemacht, manipuliert, fallengelassen.
„Nur durch Yoga findest du zu Gott“, soll mal ein namhafter Yogatrainer gesagt haben. Das ist traurig zu hören, dass ein Mensch im Namen einer Geisteshaltung diese Absolution einfordert.
Es ist, als müsste man die Eintrittskarte zu mehr Bewusstsein immer mit dem Kompromiss einlösen, dass alles auch eine Lüge sein könnte. Eine Lüge, der man sich allzu gerne hingibt auf dem schnellen Weg zur Erleuchtung.
Nein, Freunde, das ist nicht mein Yoga. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob die Gründer des Yoga das gutgeheißen hätten. Unabhängig davon:
Kann eine Sache gut sein, wenn man sich dabei schlecht fühlt?
I don’t think so.
Die Yogalehrerin rümpft die Nase, weil ich ein paar Kilos zu viel habe? Nein, danke.
Die Yogakollegen schauen mich von oben bis unten an, weil die Klamotten nicht zum Trend passen? Nein, danke.
Die Schüler messen sich im Unterricht aneinander? Nein, danke.
In der Ausbildung finden sich Absolutismen und gottesgleiche Bewunderung? Nein, danke.
Es gibt staatliche Auflagen wie eine Yogalehrer-Ausbildung zu sein hat? Nein, danke.
Yogalehrer klauen sich gegenseitig Konzepte und werden hysterisch? Nein, danke.
Yoga kann jeder selbst erfahren. Jetzt. Hier. Genau dort wo du bist. Du bist yogischer als du glaubst. Denn Yoga drückt nur die Liebe zu allem aus was ist. Es sucht die Verbindung zwischen dir, dem Raum dazwischen und deiner Seele. Yoga ist die Annäherung, das Leben in all seinen Facetten besser zu verstehen, besser zu händeln und bewusster anzugehen.
Von mir aus braucht es das Wort Yoga gar nicht zu geben.
Es gab einmal ein Zwiegespräch zwischen Zen-Meister und Schüler. Der Meister sagte: „Triffst du Buddha, dann töte ihn.“
Es ist eine komplexe, vielschichtige Aussage über die Nicht-Identifikation mit einer Sache oder Gestalt.
Jede Form der Konzeptionierung, Gestaltung, Kategorisierung wird immer wieder die Starrheit unterstreichen, anstatt den fließenden Prozess der Weiterentwicklung zuzulassen. Als wolltest du eine Schneeflocke aufhalten zu schmelzen, weil du ihre Schönheit für immer einfangen möchtest. Wie willst du das machen?
So langsam aber sicher, fängt mir der Satz an zu gefallen:
„Triffst du auf Yoga, dann töte es.“
*** Fußnote:
Dieser Artikel dient nicht zur Gegenüberstellung meiner Arbeit oder um mich zu vergleichen oder abzuheben. Er dient auch nicht als Werbetext für oder gegen etwas, sondern soll die Missstände aufzeigen, mit denen Yoga mittlerweile in Verbindung gebracht wird. Yoga muss weder kategorisiert werden noch Menschen minderwertig fühlen lassen.
Bildquelle: www.canva.com
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