Blog

Aus der neuen Reihe “Kurzgeschichten und Gedichte”

Der Stoß

Einst hatte ein Schüler einen Meister, den er sehr verehrte. Er folgte ihm auf Schritt und Tritt und glaubt, in ihm die Erlösung all seiner Probleme gefunden zu haben. Alle Worte aus dem Mund des Meisters waren ihm ein Feuerwerk und ein Geschenk des Lebens. Er verehrte den Meister so sehr, dass er ihm einen Thron baute, so hoch, dass er auf Stelzen stand.

Vom Boden aus blickte der Schüler auf seinen Meister herauf und jubelte ihm zu.

Eines Tages jedoch, als der Meister wieder zu einer Predigt ansetzte, störte den Schüler etwas am Gewand des Meisters. Er empfand es plötzlich als nicht mehr so rein und weiß, wie es vormals war. Auch die Falten, die es warf, hatten nicht mehr den gleichen Wurf wie vorher. Hatte es vielleicht damit zu tun, dass der Schüler in der Nacht einen schrecklichen Traum hatte?

Er verwarf den Gedanken und blickte weiter auf den Meister herauf. Und je mehr er seinen Kopf in den Nacken warf, umso größer wurden seine Schmerzen dort. Die Schmerzen sammelten sich zu einem Krampf, den sein gesamter Körper durchschüttelte.

Da nahm der Schüler eine Axt und in seiner Wut durchbrach er die Stelzen des Thrones. Der Meister fiel mit einem großen Krach von seinem hohen Sitz und erlag seinen Verletzungen.

Der Schüler aber blickte auf ihn hinab und sagte: Du bedeutest mir nichts.

 

Das süße Küken

Einst hatte ein Meister einen Schüler, den er sehr liebte. Es war ihm sein liebster Schüler unter all seinen Schülern und er verbrachte Tag und Nacht mit ihm. Der Schüler liebte den Meister ebenso und so wurden sie fast eins.

Etwas im Meister aber war verwundert und so meditierte er viele Tage um die Verwunderung zu ergründen. Nach einiger Zeit kam ihm in der Meditation ein Bild eines Kükens, das er in Händen hielt. Das Küken war süß und flauschig und schmiegte sich voller Vertrauen in seine Handfläche an. Die Hand aber schloss sich immer weiter zu. Zuerst wurde dem Küken ganz warm und fühlte sich ganz geborgen. Doch die Hand schloss sich weiter zu und dem Küken wurde immer enger und bedrückender. Schließlich hielt die Hand das Küken vor lauter Angst, es könnte aus seiner Hand springen und verloren gehen, noch fester zu. Daraufhin starb das Küken in der Hand.

Der Meister erschrak über dieses Bild so sehr, dass er aufwachte und zu seinem Schüler lief. Er band alle Sachen, die der Schüler im Laufe der Zeit angesammelt hatte, zu einem Bündel zusammen, übergab sie seinem Schüler und verabschiedete sich von ihm.

Beide weinten vor Schmerz und Abschied. Doch nur der Meister wusste, dass dieser Schmerz sie vor einem noch unerträglicheren Schmerz rettete. Darin fand er seinen Frieden.

 

 

Aus den Augen der Wahrheit

Einst hatte ein Meister viele Schüler. Seine Anhängerschaft war ihm treu ergeben und sie liebten ihn sehr. Was auch immer er tat, nichts konnte die Treue, die seine Schüler zu ihm hatten, brechen.

Eines Tages kam ein neuer Schüler voller Neugier hinzu, der von der Treue nichts wusste. So saß er im Saal immer weiter vom Meister und seinen Schülern entfernt und nahm auf, was er bekam.

Der Meister hatte im Saal aufmerksame Assistenten, die ihn schon lange Jahre begleiteten und immer auf das Wohl des Meisters bedacht waren. Sie sahen den Schüler am Rande des Saals und näherten sich ihm. Als sie näherkamen, sah er sie zum ersten Mal von vorne. Er erschrak, denn in ihren Augen hatte sich ein Schleier gelegt. Ehe er es sich versah, hielten sie ihn fest und banden ihm die Augen zu. Erst da hörte er die Worte des Meisters genauer. Im festen Griff der Assistenten lauschte er seiner Predigt und fühlte sich ihm plötzlich nah und greifbar.

Da träufelten die Assistenten eine Flüssigkeit auf seine Augenbinde, die bis in seine Netzhaut einzog. Als sie die Augenbinde abnahmen, war auch der Schüler blind. Und es gefiel ihm.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*